Unbekanntes Binnenland: Die Vicelin-Radrunde

Der Rucksack ist gepackt, die Trekkingschuhe geschnürt und das Handy bleibt getrost aus. Schließlich lässt sich der Zauber der Natur auch prima ohne W-Lan empfangen. Ich liebe das weite, grüne Land hier im Norden. Nichts gegen einen vergnüglichen Tag am Strand! Doch erfüllender ist für mich meist eine Wanderung durch die idyllische Knick- und Redderlandschaft zwischen den Küsten.

Radfahrende im Park
© sh-tourismus.de/MOCANOX

Das „Obere Eidertal“ oder der „Wildhofwald“ bei Bordesholm, das „Doosenmoor“ bei Neumünster-Einfeld oder rund um den „Bothkamper See“ – manchem Pfad bin ich schon etliche Male gefolgt und trotzdem entdecke ich immer wieder Neues: Heckrinder und Wildpferde, die seelenruhig auf unberührten Feuchtwiesen grasen. Fast vergessene Pflanzen, die wie selbstverständlich im unwegsamen Gelände wachsen. Und nicht selten kreuzen Rehe, Hasen oder Ringelnattern den Weg. Manchmal stolpere ich über Bauwerke, die vor langer Zeit errichtet wurden und mittlerweile historische Kleinode sind. Ob Torhaus oder Brückenkonstruktion, ob aus Eisen oder Stein – jedes Denkmal könnte unzählige Geschichten aus längst vergangenen Tagen erzählen. Von Liebe und Streit, von wohlüberlegten oder vollkommen dummen Taten, vom Ideenreichtum und Pragmatismus ihrer Erbauer. Schon wieder gerate ich ins Staunen und freue mich darüber sehr.

Wer noch mehr erleben und dabei schneller vorankommen will, der steigt am besten aufs Fahrrad. Ein dichtes Netz von Radwegen durchzieht Schleswig-Holstein; insgesamt 13 ausgebaute Radfernwege und zahllose abwechslungsreiche Routen führen durch die verschiedenen Regionen. Eine Radtour folgt den Spuren des Heiligen Vicelin, noch heute bekannt als „Apostel der Wagrier“. Der Missionar gründete im Hochmittelalter zahlreiche Kirchen. Die nach ihm benannte Strecke führt nicht nur durch eine seenreiche Landschaft, sondern auch zu bedeutenden Bauwerken aus der Zeit Vicelins. Und für alle passionierten Radler verbindet die Rundtour den Ochsenweg, die Holsteinische Schweiz-Radtour und den Mönchsweg – man folgt einfach dem dunkelroten Schildchen mit dem weißen Bischofsstab.

Radfahrende vor einer Kirche
© sh-tourismus.de/MOCANOX

Die Gesamtstrecke misst etwa 100 Kilometer und lässt sich gut in vier Etappen oder zwei Tagestouren aufteilen. Als Startort empfehle ich Neumünster, wo der Heilige allgegenwärtig ist: 1127 gründete er hier ein Kloster mit dem Namen „Novum Monasterium“ (das neue Münster). Es wurde Vincelins Ausgangspunkt zur Missionierung Holsteins und Wagriens – allerdings hatte er sicherlich keinen Drahtesel dabei. Die heutige Vicelinkirche in Neumünster ist ein klassizistischer Bau, wurde 1834 geweiht und ruht auf den Grundmauern eines Gotteshauses aus dem 12. Jahrhundert. Über Tasdorf und Großharrie, wo der Geist Vincelins einer armen Frau erschienen und ihr Gold geschenkt haben soll, geht‘s weiter in Richtung Einfelder See. In Mühbrook, an der Nordspitze des Sees, lockt eine Badebucht zum Erfrischen. Kaum wieder trocken wartet schon der nächste See – im Schatten des Bordesholmer Klosters. Hier werden die Gebeine des Missionars vermutet, sein Grab ist aber seit über 400 Jahren nicht mehr auffindbar.

Über Wattenbek geht es nach Brügge, wo neben der St. Johannis-Kirche seit knapp 300 Jahren das „Kleine Haus am Markt“ steht. Sonntagnachmittags werden hier leckere Kuchen und Torten zum Tee oder Kaffee gereicht. Die nächste Etappe führt über Schönhorst, Kirchbarkau, Barmissen und Postfeld in die alte Schusterstadt Preetz. Welche Bedeutung dieses Handwerk im 19. Jahrhundert für den Ort hatte, erfahren Interessierte im Heimatmuseum. Sakrales gibt es dagegen im Adligen Kloster Preetz zu bestaunen, u.a. den Altar der Heiligen Sippe, eine alte Weihnachtskrippe und eine gemalte Gregors-Messe. Wer eine Pause braucht, findet im romantischen Gartencafé an der Schwentine Erholung.

Über Löptin, Wankendorf und Ruhwinkel führt der Weg nach Bornhöved. Hier steht eine der ältesten Feldstein- und Kalkkirchen Norddeutschlands, die Vicelin 1149 errichteten ließ und dem Heiligen St. Jakobus weihte. Der Missionar und inzwischen Bischof erkannte die strategische Bedeutung des Kalkbergs im heutigen Bad Segeberg und machte den damaligen Kaiser Lothar darauf aufmerksam. Der ließ daraufhin eine „Siegesburg“ errichten, woraus später „Segeberg“ wurde.

Die Schlussetappe führt über Trappenkamp. Der hiesige ErlebnisWald ist gerade bei Familien ein sehr beliebtes Ausflugsziel. Kein Wunder, denn in Schleswig-Holstein findet sich wohl kein größerer Abenteuerspielplatz! Für den Natur- und Wilderlebnispark sollte man besser einen ganzen Tag einplanen. Also lieber in die Pedale treten, vorbei an Gönnebek und Groß Kummerfeld und über den Stadtteil Gadeland hinein in den Start- und Zielort Neumünster. Eine buchstäblich eindrucksvolle Runde für Genussradler, Naturfreunde, historisch Interessierte oder auch Pilger. Wer kein E-Bike besitzt, sollte für die Vicelin-Tour über eine gute Kondition verfügen. Möglichkeiten zum Einkehren oder gar Übernachten sind vorhanden. Und Abstecher – zum Beispiel in die umliegenden Naturparks, an den Plöner See oder nach Bad Segeberg – lohnen bestimmt.

Philipp Queiser - Portraitfoto

Von Philipp Queiser

Philipp ist ein waschechter Naturbursche und als gebürtiger Schwarzwälder so richtig froh gelaunt, wenn über ihm die Baumkronen rauschen. Sein Fitnessraum ist Outdoor, wandern sein Lebenselixier. In den Naturparks von Schleswig-Holstein geht ihm das Herz auf: „Welch großes Geschenk!“